Schlaf und Emotionen Wäre die Welt eine bessere, wenn wir mehr schlafen würden?

Schlaf ist für die Bewältigung unseres Alltags unerlässlich. Wer nicht ausreichend schläft, ist in der Regel unkonzentrierter und unproduktiver. Doch nicht nur das - Schlaf hat einen enormen Einfluss auf unsere psychische Gesundheit und bestimmt unsere emotionale Verfassung mit. Schlafmangel kann die Ursache für eine erhöhte Anzahl negativer Gedanken, Reizbarkeit und allgemeines Unbehagen sein. Das sollte doch im Umkehrschluss bedeuten, dass es mit mehr ausgeschlafenen Menschen weniger Konflikte gäbe und die Welt harmonischer wäre, oder? Schlafforscher Dr. Hans-Günter Weess verrät, wie sehr unser Schlaf unsere Emotionen und unser Handeln wirklich beeinflusst.

Wäre die Welt eine bessere, wenn wir mehr schlafen würden?
Schlafmangel erhöht die Anzahl negativer Gedanken

Nach einer zu kurzen Nacht ist der Tag oft etwas mühsam. Nicht selten erscheint einem alles anstrengender, wir fühlen uns schneller gereizt oder sehen die Welt negativer. Das bilden wir uns nicht ein, denn Schlafdauer und Emotionen scheinen zusammenzuhängen.

Was hat Schlaf mit Emotionen zu tun?

Unsere Emotionen beeinflussen unser Verhalten. Sie aktivieren oder hemmen unsere Handlungen und sind daher massgeblich für unser Leben. Unsere Emotionen werden durch diverse Faktoren geprägt und Schlaf gehört substanziell dazu. Schlafforscher Dr. Hans-Günter Weess weiss, dass Schlaf ein Emotionsregulator ist. Wenn wir zu wenig schlafen, sind wir nicht nur müde, sondern wir werden etwas euphorisch und neigen dazu, unsere Fähigkeiten zu überschätzen. Das kann sich negativ auf Entscheidungsprozesse auswirken und Gefahren werden falsch eingeschätzt. Allerdings sagt der Schlafforscher auch, dass zu viel Schlaf nicht gut für unsere Emotionen ist. Wer zu viel schläft, neigt zu depressiven Verstimmungen und hat mehr Angst. Das kann fortschrittlichen Entscheidungen entgegenstehen. Daher betont der Schlafforscher, dass wir nur wirklich ausgeglichen sind, wenn wir die richtige Dosis Schlaf bekommen und das ist individuell sehr unterschiedlich. Das Schlafbedürfnis ist genetisch festgelegt. Zwar liegt es bei den meisten Menschen zwischen 6 und 8 Stunden, aber es gibt Menschen, die brauchen viel weniger oder mehr. Um zum Beispiel sichere Entscheidungen zu treffen und uns risikoarm zu verhalten, brauchen wir die ideale Menge Schlaf, die unsere Gene vorsehen.

Wäre die Welt eine bessere, wenn wir mehr schlafen würden?
Schlaflosigkeit führt zu mehr schlechte Laune

Ist zu wenig Schlaf dann gar nicht schlimmer als zu viel Schlaf?

Doch, denn zu wenig Schlaf wird dann fatal, wenn ein chronischer Schlafmangel vorhanden ist. Bei chronischem Schlafmangel ist der Mensch eher gereizter, ungeduldiger und aggressiver. Dr. Hans-Günter Weess thematisiert, dass wir gar nicht für das frühe Aufstehen gemacht sind. Er nennt Modellschulen als Beispiel, an denen die Schule erst um 9 Uhr beginnt. In diesen Schulen zeige sich, dass die Leistungen besser sind, weniger Aggressivität auftritt und es weniger Konflikte gibt. Der Schlafforscher meint, dass sich das auch auf unsere Gesellschaft übertragen lässt. Wenn wir alle genug schlafen würden, was wir in der Regel nicht tun, wären wir weniger gereizt und grundsätzlich ausgeglichener. Schlafmangel führt ausserdem zu mehr schlechter Laune und zu Schwierigkeiten, emotionale Reaktionen bewusst zu steuern und wir werden impulsiver.

Unser Glücksempfinden wird durch chronischen Schlafmangel ebenfalls gestört und Angststörungen oder Suchtverhalten wie Alkoholkonsum nehmen zu. Somit wird deutlich, dass Schlafmangel sehr fatal für den Menschen sein kann. Aber nicht nur für das Individuum ist Schlafmangel ein Problem, denn wer chronisch zu wenig schläft, ist weniger kompromissbereit und hat weniger Empathievermögen. Dadurch werden Auseinandersetzungen und Konflikte verstärkt. Zwar ist zu viel Schlaf auch nicht gut, aber dieser hat nicht so weitreichende Folgen.

Wäre die Welt eine bessere, wenn wir mehr schlafen würden?
Im Durchschnitt brauchen erwachsene Menschen 6 bis 8 Stunden Schlaf

Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?

Ausreichend Schlaf würde dazu beitragen, dass Menschen glücklicher, ausgeglichener wären und weniger aggressives Verhalten an den Tag legen würden und entsprechend weniger Konflikte im großen und kleinen entstehen, sagt Dr. Hans-Günter Weess. Durch Schlafmangel gibt es ausserdem auch mehr Unfälle, ob im Haushalt oder auf der Arbeit. Unsere Gesellschaft tut viel, um Alkohol am Steuer zu verhindern, doch dass noch mehr Unfälle durch Sekundenschlaf im Verkehr passieren, wird selten angesprochen, betont der Schlafforscher. Ausreichend Schlaf würde die Welt entsprechend sicherer machen.

Und wieso wird das nicht thematisiert?

Schlafmangel ist in unserer Gesellschaft fest verankert und gilt laut Dr. Hans-Günter Weess als normal. Wenig Schlafen scheint sogar positiv besetzt zu sein, denn wer wenig schläft, gilt oft als fleissig. Das zeigen weitverbreitete Sprüche wie «Morgenstund hat Gold im Mund » oder «der frühe Vogel fängt den Wurm ». Wer viel schläft, ist hingegen eine Schnarchnase oder Schlafmütze. Dabei wäre es für unsere Gesellschaft sehr wichtig, dass Menschen ausreichend schlafen. Dr. Hans-Günter Weess plädiert für eine neue Einstellung zum Schlaf und eine andere Schlafkultur. Die meisten Menschen wachen mit dem Wecker auf und damit wird unser wichtigstes Regenerationsprogramm vorzeitig beendet. Der Schlafforscher merkt an: «Wir würden eine Spülmaschinenreinigung nicht vorzeitig beenden, da das Geschirr noch dreckig wäre. Beim Schlaf machen wir das aber ganz selbstverständlich. Das ist aber ein Trugschluss. Wir können Schlaf nur bedingt nachholen. Wir sind nach einer Weile mehr Schlaf zwar dann wieder ausgeschlafener, aber der fehlende Regenerationsprozess kann nicht rückgängig gemacht werden.» In den letzten Jahren gibt es einen leichten Wandel und in der Öffentlichkeit wird verstärkt thematisiert, dass Schlaf sehr wichtig ist, doch wir sind noch weit davon entfernt, grundsätzlich ausreichend zu schlafen.

Jeder Mensch hat entsprechend seiner Gene, Alter und Lebensstil ein anderes Schlafbedürfnis und das gilt es individuell herauszufinden. Dazu bietet sich beispielsweise ein längerer Urlaub an. Wichtig ist nämlich, die richtige Menge an Schlaf zu finden, denn auch zu viel Schlaf ist nicht gut für unsere Emotionen. Wenn wir alle ausreichend schlafen würden, könnte die Welt in der Tat eine bessere sein, denn sie wäre sicherer, weniger aggressiv und es gäbe möglicherweise weniger Konflikte.

Wäre die Welt eine bessere, wenn wir mehr schlafen würden?

Dr. Hans Günter Weess

Dr. Hans-Günter Weess beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren klinisch und wissenschaftlich mit dem Schlaf und seinen Störungen. Er ist Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum Klingenmünster. 

Sein Buch Schlaf wirkt Wunder erschien 2018. Mit seinem aktuellen Online-Programm „Fit durch gesunden Schlafhilft Dr. Hans-Günter Weess Betroffenen endlich wieder erholsam zu schlafen.

Erstellt: 26.09.2022 07:00 Uhr

Dieser Artikel wurde von Xmediasolutions erstellt. Die Redaktionen von Tages-Anzeiger und Tamedia / TX Group haben keinerlei Einfluss auf die Inhalte.